Freispruch vom Totschlagsvorwurf: Notwehr auch beim schweigenden Angeklagten

Schweigt ein Angeklagter, darf ihm daraus kein Nachteil erwachsen. Bestehen Anhaltspunkte für eine Notwehrlage ist die für ihn günstigste Sachverhaltsvariante anzunehmen.

Ein Angeklagter hat in einem Strafverfahren das Recht zu schweigen. In den meisten Fällen ist dies auch sinnvoll. Problematisch wird es, wenn dadurch entlastende Umstände, zum Beispiel zur Notwehr (§ 32 StGB), nicht vorgetragen werden können. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Revisionsverfahren nun noch einmal deutlich gemacht, dass dem schweigenden Angeklagten durch sein Recht zu schweigen kein Nachteil entstehen darf und der Revision der Staatsanwaltschaft nicht stattgegeben. Ist ein Handeln in Notwehr nicht ausgeschlossen ist der Angeklagte – auch wenn er schweigt und sich nicht ausdrücklich auf Notwehr beruft – freizusprechen.

Dem wegen Totschlag (§ 212 StGB) geführten Strafverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach einem Streit war es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem späteren Geschädigten gekommen. Dabei hatte der Angeklagte mehrfach zugestochen. Sein Kontrahent ist später an den Stichwunden verstorben. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, dass der Angeklagte in Notwehr und damit gem. § 32 StGB gerechtfertigt gehandelt hat und sprach ihn deswegen frei. Die Staatsanwaltschaft wollte den Freispruch nicht akzeptieren und hat Revision eingelegt.

Der BGH hat in der Revision durch Urteil festgestellt, dass kein Rechtsfehler beim Vorgehen des Landgerichts ersichtlich ist. Aus dem Schweigerecht darf dem Angeklagten kein Nachteil erwachsen. Kann eine Situation nicht aufgeklärt werden, ist die für den Angeklagten günstigste Sachverhaltsvariante anzunehmen. Dabei sind zwar nicht alle denkbaren Gesichtspunkte bezüglich einer Notwehrlage anzunehmen. Liegen jedoch tatsächliche Anhaltspunkte für eine Notwehrlage und Notwehrhandlung vor und kommt der Geschehensablauf daher tatsächlich in Betracht, muss im Zweifel für den Angeklagten („in dubio pro reo“) die günstigste Variante angenommen werden.

Dies hat das Landgericht im Verfahren getan und den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags wegen einer möglichen Rechtfertigung durch Notwehr freigesprochen. Den Angeklagten schweigen zu lassen, hat sich als die im konkreten Fall richtige Strategie erwiesen, da das Landgericht aufgrund der weiteren Umstände eine Notwehrlage nicht ausschließen konnte. Aus diesem Grund hatte die Staatsanwaltschaft keinen Erfolg mit ihrer Revision. Der Freispruch ist nun rechtskräftig und der (schweigende) Angeklagte kann aufatmen.

Die Revisionsentscheidung des BGH zeigt, dass Schweigen häufig doch Gold ist, besonders wenn es keine unmittelbaren Tatzeugen gibt. Dies ist bei Kapitalstrafsachen wie Mord oder Totschlag häufig der Fall, da gerade in diesem Bereich des Strafrechts oftmals lediglich Indizien und keine Beweise für ein bestimmtes Tatgeschehen vorliegen.

Die Entscheidung: BGH, Urteil vom 3. Juli 2014, Az. 4 StR 137/14