Lückenhafte Beweiswürdigung führt zur erfolgreichen Revision

Erneut hatte eine Revision Erfolg, weil das Gericht Fehler bei der Beweiswürdigung gemacht hat. Gemäß § 261 StPO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. Grundsätzlich hat das Gericht einen großen Spielraum bei der Beweiswürdigung. Nur wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich oder gegen denklogische Gesetze verstößt, kann mittels Revision die Beweiswürdigung direkt angegriffen werden. Das OLG Hamm musste sich nun mit genau dieser Problematik im Rahmen des § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) beschäftigen: Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Der Angeklagte wurde durch das Amtsgericht Dortmund wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen in elf Fällen und wegen Insolvenzverschleppung zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt. Die jeweils pro Monat und Einzugsstelle geschuldeten Beiträge wurden im Urteil tabellarisch aufgeführt. Bezüglich eines zweiten Angeklagten erfolgte gemäß § 267 Abs. 4 S. 1 StPO eine Bezugnahme auf eine entsprechende Aufstellung in dem ihn betreffenden Strafbefehl.

Gegen dieses Urteil wendet sich der zweiten Angeklagte im Rahmen seiner Revision. Darin wird ausgeführt, dass die Verurteilung wegen des Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen rechtsfehlerhaft sei, da es das Amtsgericht unterlassen habe, für jeden Fälligkeitszeitpunkt gesondert Feststellungen zu der Anzahl der Arbeitnehmer, deren Beschäftigungszeiten, der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen zu treffen. Außerdem habe sich das Gericht nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, ob die Erfüllung der Beitragspflicht überhaupt möglich und zumutbar war. Das OLG Hamm entschied, dass die Revision zulässig und teilweise begründet ist.

Feststellung der geschuldeten Beträge
Das Urteil war aufzuheben, weil es in Bezug auf die monatlich geschuldeten Beiträge eine Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) vermissen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen hierzu allein darauf, dass die Zahlen weder im Ermittlungsverfahren noch nach Einlegung des Einspruchs bzw. in der Hauptverhandlung von dem Angeklagten oder seinem Verteidiger beanstandet worden seien. Das Urteil genügt insofern nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung zu stellen sind, denn das Gericht hat von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären (§ 244 Abs. 2 StPO). Nur ein Sachverhalt, der auf einer Überzeugungsbildung des Gerichts unter vollständiger Ausschöpfung des in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismaterials beruht, kann die Grundlage einer Verurteilung bilden. Außerdem wird mit der Revision zutreffend gerügt, dass sich das Amtsgericht damit hätte auseinandersetzen müssen, ob dem (zweiten) Angeklagten die Erfüllung der Beitragspflicht auf Grund der finanzielle Situation überhaupt möglich und zumutbar gewesen sei. Die Revision ist diesbezüglich begründet.

Obwohl die Beweiswürdigung sehr schwer mit der Revision anzugreifen ist, ist es in vielen Fällen trotzdem eine erfolgsversprechende Option. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gesteht den Richtern zwar einen großen Spielraum zu, häufig überschreiten die Gerichte aber selbst diesen großzügig eingeräumten Beurteilungsspielraum. Insbesondere wenn bestimmte Beweismittel gar nicht gewürdigt werden oder die Darstellung der Beweiswürdigung lückenhaft oder gar widersprüchlich ist. Daher gehört zu jeder Prüfung der Erfolgschancen der Revision auch eine umfangreiche Überprüfung der Beweiswürdigung.

OLG Hamm, Urteil vom 12.01.2017, Az: III-1 RVs 95/16, 1 RVs 95/16