Der übersehene minder schwere Fall in der Revision

In der juristischen Praxis spielt der minder schwere Fall des Totschlags eine wichtige Rolle. Für den Angeklagten ist die Annahme eines minder schweren Falles von großem Vorteil, da der § 213 StGB die Möglichkeit einer deutlich geringeren Strafe eröffnet. So kann sich der gesetzliche Strafrahmen des Totschlags nach § 212 StGB von 5 bis 15 Jahren Freiheitsstrafe auf 1 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe reduzieren. Somit ist es Aufgabe des Strafverteidigers, die Möglichkeit des minder schweren Falles des Totschlages stets im Blick zu haben – auch wenn dieser nicht immer offensichtlich ist.

In der vorliegenden Revision mit dem sich der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich beschäftigte, lag die Annahme eines minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 StGB ebenfalls nicht offensichtlich auf der Hand. Erst in der Revision konnte der Rechtsanwalt aufzeigen, dass solch ein Fall gegeben war.

Der Angeklagte wurde von dem Landgericht Regensburg wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Das Gericht traf folgende Feststellungen: der Angeklagte befand sich auf einer Silvesterfeier, bei der er sich unter Alkoholeinfluss gegenüber mehreren Frauen verbal und durch Gesten sexuell ausfällig verhielt. Um dieses unsittliche Verhalten zu unterbinden, packte einer der Zeugen den Angeklagten von hinten am Hals, zog ihn zu Boden und versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht. Daraufhin schlugen und traten auch zwei anwesende Brüder und das spätere Tatopfer auf den am Boden liegenden Angeklagten ein. Nachdem die Angreifer von dem Angeklagten abgelassen hatten, besorgte sich der Angeklagte ein Messer, um sich für die Demütigung durch die Tritte und Schläge zu rächen. Der Angeklagte trat auf einen der Angreifer zu und stach diesem sechsmal u.a. in Achselhöhle, Oberbauch und rechten Brustkorb, wodurch dieser verstarb.

Das Landgericht lehnte in der Strafzumessung einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 1 ab. Gemäß § 213 Alt. 1 liegt ein minder schwerer Fall vor, wenn der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm (..) zugefügte Misshandlung (..) von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist. Hier habe der Angeklagte aufgrund seines Verhaltens die Misshandlungen durch das spätere Tatopfer und die weiteren Zeugen herausgefordert und somit nicht „ohne eigene Schuld“ gehandelt, stellte das Gericht fest. Das Landgericht führte aus, dass die Tritte und Schläge in der Form zwar nicht erforderlich gewesen seien, um das Verhalten des Angeklagten zu unterbinden, allerdings seien diese angesichts der nicht besonders schwerwiegenden Verletzungsfolgen des Angeklagten nicht als unverständliche Reaktion anzusehen. Schließlich hatte das Gericht aufgrund mehrerer allgemeiner Strafmilderungsgründe – wie das Geständnis, der alkoholbedingten Enthemmung und der vorangegangenen Körperverletzung des Angeklagten – trotzdem noch einen sonstigen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 angenommen.

Gegen das Urteil des Landgerichts richtete sich der Angeklagte mit der Revision und hatte teilweise Erfolg, da der BGH den Fall anders als das Landgericht beurteilte. Es sei zwar korrekt, dass der Täter nicht „ohne eigene Schuld“ handelt, wenn er das Opfer zu seinem Verhalten herausfordert. Dies sei aber nicht bei jeder Handlung des Täters der Fall, vielmehr müsse das Verhalten des Opfers eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen sein, was insbesondere auch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist. Die Schläge und Tritte des späteren Opfers waren aber gerade nicht verhältnismäßig, wie das Landgericht auch richtig erkannt hatte. Die Brüder und das spätere Opfer hätten den Angeklagten stattdessen aus dem Raum schieben und zerren können, so dass dieser von der Feierlichkeit ausgeschlossen wird. Demnach waren die Tritte und Schläge von ausreichendem Gewicht, um sie als schwere Tatprovokation zu werten, da sie erheblich in die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten eingriffen.

Hätte das Landgericht einen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 1 StGB zugrunde gelegt, hätte es die allgemeinen Milderungsgründe nicht zur Bejahung eines nicht umschriebenen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB heranziehen müssen. Diese Milderungsgründe hätte dann bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten mit größerem Gewicht berücksichtigt werden können. Dies hätte zu einer deutlich milderen Strafe führen müssen.

Der Strafausspruch wurde deshalb durch den BGH aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache zu neuer Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Der Angeklagte kann nun dank der erfolgreichen Revision seines Revisionsanwalts auf eine deutlich mildere Strafe hoffen.

BGH, Beschluss vom 22.01.2019 - 1 StR 585/18