Wiedererkennen des Täters durch Zeugen

Häufig kann ein Täter nur dadurch überführt werden, dass er von Zeugen wiedererkannt wird. Das Wiedererkennen eines Angeklagten durch einen Zeugen im Rahmen einer Hauptverhandlung alleine kann aber nicht ohne Weiteres Grundlage für eine Verurteilung sein. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden. Die Richter setzten der Würdigung einer Zeugenaussage, die sich auf die Identifizierung des Angeklagten bezieht, hohe Hürden. Denn häufig irren sich Zeugen, insbesondere wenn nur eine Person als möglicher Täter zur Verfügung steht. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag der Vorwurf eines Versuchs des besonders schweren Raubes zu Grunde. Der Angeklagte war durch das Landgericht Aachen zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

In dem hier zu entscheidenden Fall soll der Angeklagte einer von drei Tätern gewesen sein. Das mutmaßliche Opfer, das während der Hauptverhandlung die für das Urteil entscheidende Aussage machte, lag zum Zeitpunkt der Tat in ihrem Bett und schlief. Sie schreckte hoch, als einer der drei Täter die Tür zum Schlafzimmer öffnete. Die Zeugin gab an, dass sie den dritten Täter, der das Schlafzimmer während der Tat zweimal verlassen hatte, wiedererkennen würde. Die richterliche Würdigung dieser Aussage hat der Bundesgerichtshof auf die Revision des Angeklagten hin aus gleich mehreren Gründen als unzureichend angesehen, sodass der Fall neu zu verhandeln ist.

Konkrete Beobachtungssituation ist ausschlaggebend
Der Bundesgerichtshof legte seiner Entscheidung insbesondere formale Mängel des Landgerichts zu Grunde. Es handele sich um eine schwierige Beweislage, sodass besondere Darlegungsanforderungen gelten würden. Zunächst hätte das entscheidende Gericht in seiner Urteilsbegründung näher auf die konkrete Beobachtungssituation eingehen müssen. Die Zeugin hatte den Täter lediglich von der Seite gesehen. Darüber hinaus war ein Teil des Gesichts des Täters mit einem Pullover verdeckt. Das Gericht hätte daher feststellen müssen, warum die Zeugin überhaupt sicher ist, dass sie den Täter identifizieren könnte.

Als problematisch wertete der Bundesgerichtshof auch die Tatsache, dass die Zeugin den Angeklagten einige Stunden nach der Tat auf einem in einer Zeitung veröffentlichten Bild wiedererkannt habe. Das Landgericht Aachen habe sich nicht kritisch mit diesem Umstand auseinandergesetzt, sodass eine Suggestivwirkung des in der Zeitung veröffentlichten Bildes trotz entgegenstehender Aussage der Zeugin nicht ausgeschlossen sei. Dieses Bild, so der Bundesgerichtshof, könne die Erinnerungen der Zeugin „überschrieben“ haben. Möglicherweise erinnerte sich die Zeugin in der Hauptverhandlung nämlich nur an das Foto in der Zeitung und gar nicht an den wirklichen Täter.

Geringer Beweiswert bei wiederholtem Erkennen
Grundsätzlich stellte der Bundesgerichtshof fest, dass dem wiederholten Wiedererkennen des Angeklagten in der Hauptverhandlung ein – wenn überhaupt – geringer Beweiswert zukomme. Weiterhin seien Tatrichter verpflichtet, die Beschreibung einer Zeugin zum Äußeren des Täters sowie dessen Erscheinungsbild in der Hauptverhandlung zueinander in Beziehung zu setzen.

Diese Entscheidung zeigt, was für hohe Anforderungen die höheren Gerichte an das Wiedererkennen in der Hauptverhandlung stellen. Die Zeugen in einer Hauptverhandlung wissen in der Regel, wer im Verfahren angeklagt ist und können daher vermuten, dass dies auch der Täter sein muss. Gerade aufgrund dieser Beeinflussen ist die Aussage eines Zeugen äußerst kritisch zu würdigen. Erfolgt dies nicht, lohnt sich das Einlegen der Revision.

BGH, Beschluss vom 29.11.2016, Az.: 2 StR 472/16